Wallstein Verlag

Rasender Stillstand in der Zwischenkriegszeit


Zur Dialektik der Beschleunigung und Beschleunigungswahrnehmung


In der Moderne schließen sich Beschleunigung und Stillstand nicht aus, sondern müssen in ihrer gegenseitigen Komplementarität gedacht werden.


Modernisierungsprozesse bringen vielfältige Beschleunigungserfahrungen mit sich. So ist die Zwischenkriegszeit geprägt durch das Aufkommen der Schicht der Angestellten, ihrer Kultur und dem rasenden Leben in den Großstädten wie auch von industriellen Rationalisierungsbestrebungen, Zuständen gefühlter Entfremdung und ökonomischen Rezessionen. Mit Blick auf die darin stattfindenden Erfahrungen zeigt sich, dass dort, wo sich Ereignisse beschleunigen oder eine technologische Dynamik entfacht wird, immer auch Momente der Stauung, der Überhitzung oder der Zerstörung lauern. Anhand solcher Phänomene lässt sich beobachten, wie sich die beiden Zustände, der der Beschleunigung und der des Stillstands, nicht etwa ausschließen, sondern in ihrer sich gegenseitig beeinflussenden Komplementarität gedacht werden müssen. Das Ergebnis ist das nur scheinbar paradoxe Phänomen des rasenden Stillstandes, das sich in Reportagen über das Berliner Sechstagerennen, Kafkas Romanen und Kurzgeschichten, Bernhard Kellermanns Tunnel-Roman, der Angestelltenliteratur von Gabriele Tergit oder Martin Kessel und vielen weiteren Texten offenbart.
Jonas Frick

Jonas Frick ist Germanist und Kulturwissenschaftler aus Zürich. Schwerpunkte seiner Arbeit bilden neben Fragen der Geschwindigkeit die Entwicklungs- und Wahrnehmungsgeschichte der Digitalisierung.

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